Hubert Kniesburges, Vorsitzender des Arbeitskreises BLUMEN FÜR STUKENBROCK
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
Antifaschistinnen und Antifaschisten,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
„Wir Leben! Elli und die Kinder.“ Solche Worte – mit austauschbaren Namen – waren am Ende des
Krieges, am 4.April 1945 in Bielefeld über all zu sehen an den hohlen Eingängen zerborstener
Häuser, an Ruinenmauern inmitten von Trümmerwüsten.
„Wir leben!“ – hatte allerhöchsten Mitteilungswert, war zunächst einmal das Wichtigste! Ein erstes
Aufatmen! Die Waffen schwiegen. Keine Bomben mehr, kein Fliegeralarm. KRIEGSENDE.
Hauptsache Frieden – und wir leben.
An diesem Apriltag um 17 Uhr vor 76 Jahren war es soweit. Bielefeld war befreit?! Befreit vom
Bombenhagel, Luftschutzkellern und brennenden Häusern, ja. Aber auch befreit vom Naziterror?
Befreit gefühlt haben sich 1945 die wenigen, die im Widerstand waren, die politischen Häftlinge in
den Gefängnissen und Konzentrationslagern und die vielen anderen Opfer der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. In Stukenbrock-Senne, wenige Kilometer südlich von
Bielefeld wurden bereits am 2. April 1945 annähernd 8.600 Gefangene des sowjetischen
Kriegsgefangenenlager Stalag 326 befreit.
Über 50 Millionen Menschen fanden in diesem von Deutschland begonnen Krieg den Tod, darunter
rund 27 Millionen sowjetische Menschen. Zu ihnen gehören auch die 65.000 Gefangenen, die im
Lager Stukenbrock elend zugrunde gingen. Maßloses Elend, Flucht und die Zerstörung ganzer
Städte und Dörfer waren das Ergebnis diese Krieges.
Die alliierten Streitkräfte, unter denen die Rote Armee mit Abstand die größte Last des Krieges in
Europa zu tragen hatte, sind und bleiben auch unsere Befreierinnen und Befreier. Doch das aber
scheinen einflussreiche Kreise in unserem Land vergessen machen zu wollen. In Politik und Medien
gehört „Russen-Bashing“ zum tagtäglichen Ton.
Zu Fragen ist, warum nach den furchtbaren Erfahrungen aus dem 2. Weltkrieg und dem Leid, das
durch deutsche Schuld den Menschen in der ehemaligen Sowjetunion zugefügt wurde, die
Freundschaft zu den Menschen in Russland nicht zu einer Staatsdoktrin unseres Landes wird, wie
das nach den Morden an sechs Millionen Juden durch Deutsche im Falle mit dem jüdischen Volk
geschehen ist.
Es ist geschichtsvergessen und des Revanchismus verdächtig, wenn nun erneut Weltmachtgelüste
die deutsche Politik bestimmen und Aufrüstung und Militärmanöver von Russland erneut als
Bedrohung empfunden werden müssen. Frieden geht nur mit Russland, nicht gegen Russland.
Wenn man die Befreiung vom Faschismus ernst nimmt und als Auftrag für heutiges Handeln
begreift, dann darf man die Augen nicht davor verschließen, dass wenige Jahre nach Kriegsende die
hoffnungsvollen Anfänge gemeinsamen antifaschistischen Handelns abrupt beendet wurden.
Im kollektiven Bewusstsein der Deutschen ist der Tag als der Tag des Kriegsendes verankert. Die
überwiegende Mehrheit der Deutschen war mit keinem anderem Regime so verbunden wie mit dem
Naziregime. Wie sollten sie da seinen Untergang als Befreiung empfinden.
Die Früchte der Befreiung vom Faschismus waren und sind stets gefährdet. Rassismus,
Nationalismus, Chauvinismus, Antisemitismus und Antiziganismus,– alle möglichen Ideologien zur
Begründung sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Ausgrenzung haben Konjunktur. Die
soziale Spaltung der Gesellschaft hat ein Ausmaß erreicht, in dem die Angst vor dem Abstieg
Anpassungsdruck und Ausgrenzungsbereitschaft erhöht. Wir erleben, dass Grundrechte immer
weiter eingeschränkt werden. Die „Erfolge“ der rechten Parteien hat den politischen Diskurs nach
rechts verschoben. Wir sehen mit Sorge, wie unbarmherzig Teile unserer Gesellschaft Geflüchteten
gegenübertritt und gewaltsame Übergriffe duldet. NSU, Lübke-Mord, der Anschlag von Halle,
Neofaschistinnen und Neofaschisten in Polizei, Spezialeinheiten und Bundeswehr zeigen die
Verstrickung der Rechten bis in staatliche Strukturen hinein. Jüngstes Beispiel ist der Uniter e.V.,
ein Verein, dem die Bildung einer rechtsextremen Schattenarmee und beste Kontakte zum
Verfassungsschutz nachgesagt werden.
Der rasante Aufstieg nationalistischer, rechter und neofaschistischer Kräfte in nahezu allen
europäischen Ländern verlangt entschiedene Gegenwehr.
Der Wiedereintritt Deutschlands in die Reihe der Krieg führenden Länder, stellt einen Bruch mit
dem Nachkriegskonsens: „Es soll nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen“ als wichtigste
Lehre aus der jüngeren deutschen Geschichte dar. In vielen Ländern der Welt, zum Beispiel im Irak,
in Afghanistan und Syrien, in der Ukraine, im Jemen und Mali toben Kriege. In Südamerika putscht
die Rechte gegen linke Regierungen und bringt, wie in Brasilien, Faschisten an die Macht. Wieder
sind deutsche Waffen – und oft auch deutsches Militär – beteiligt. Die Bereitschaft, „deutsche
Interessen“ erneut mit militärischen Mitteln durchzusetzen ist gegen den Willen der Mehrheit der
Bevölkerung in Regierung und Bundestag wieder politische Praxis geworden.
Zum Schluss möchte ich noch aus einer Rede des Antifaschisten Michel Knop aus dem Jahr 1982
zitieren, eine Rede, die auch heute nichts an Aktualität verloren hat. Michel war
Kriegsdienstverweigerer, aktiver Gewerkschafter und Kommunist. Seit Gründung der VVN im
Jahre 1946 kämpfte er als aktiver Antifaschist für die Aufklärung der Naziverbrechen, die
Wiedergutmachung für die Opfer und für die Verurteilung der Schuldigen in ordentlichen
Gerichtsverfahren.
Michel Knop führte in seiner Rede 1982 aus, ich zitiere: „… Auch heute gibt es eine Fülle von
politischen Erscheinungen, die eine erschreckende Ähnlichkeit mit der Entwicklung Ende der
zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre haben.
Die Rüstungsetats klettern immer höher – wie damals, die Arbeitslosenzahlen steigen – wie damals,
die sozialen Leistungen werden gekürzt – wie damals. Immer mehr soziale Konflikte werden mit
dem Polizeiknüppel gelöst – wie damals.
Weil diese Parallelen so offensichtlich sind, ist es so wichtig, sich mit dem Kampf der
demokratischen Kräfte gegen den Krieg und Faschismus zu beschäftigen und die Erfahrungen in die
heutigen gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen einzubringen.
Das ist die zentrale Aufgabe aller Antifaschisten. In ihrer Verantwortung liegt es, in die …
Friedensbewegung von heute, … die Lehren der Kämpfe von gestern einzubringen.
Dies soll u.a. durch unsere Veranstaltung geschehen. Wir wollen allen Menschen zeigen, wie
wichtig es ist, , sich als Antifaschist erkennen zu geben, gleichgültig welchen Alters, welcher
Weltanschauung und welcher Parteizugehörigkeit, um gemeinsam etwas gegen den ständig und
bedrohlich anwachsenden Neofaschismus und den Abbau der Demokratie zu machen …“
Die Worte haben auch nach 40 Jahren nicht an Bedeutung verloren.
Herzlichen Dank für eure Aufmerksamkeit.