Rede Simon Anhut ARIWA

Ich möchte zuerst einmal Danke sagen: Vielen Dank allen, die heute hier sind, allen, die in diesen Zeiten dem Frieden eine Chance geben, indem sie Geflüchtete aufnehmen oder Desinformation bekämpfen. Ich möchte mich auch bei allen bedanken, die über die offensichtliche Grausamkeit des Krieges hinaus andere Aspekte anprangern, wie die rassistische Einteilung in Flüchtende erster und zweiter Klasse, an den Grenzen wie hier im Land. Vielen Dank nicht zuletzt an das Orgateam, dass sie diese Demo auf die Beine stellen und dass ich heute hier sprechen darf.
Ich bin von Haus aus Tierrechts- und Umweltaktivist. Was hat das mit Frieden zu tun? Bomben machen keinen Unterschied zwischen Spezies. Explodierende Öl- und Gas-Pipelines zeigen die schlimmste Seite fossiler Energie. Und ohne Frieden werden wir schwerlich unser Verständnis von Frieden weiterentwickeln, um Nichtmenschliche und Natur einzuschließen.

Erfreulicherweise existiert in der Tierrechtsbewegung ein breiter Konsens, dass Tierrechte Menschenrechte umfassen
und dass Frieden, Arten- und Klimaschutz Teile des Ziels der Bewegung sind. Auf der einen Seite muss ich als Tierrechtler das Ausmaß des Leidens und Sterbens im Krieg ansprechen, das so sonst kaum benannt wird. Es ist erschütternd, über verminte Fluchtwege zu lesen, über tausende zivile Todesopfer in der ukrainischen Bevölkerung – und ebenso über junge
russische Männer, die zum Teil gar nicht wissen, dass sie in den Krieg geschickt werden, bis sie im Kampf sind. Es ist aber auch erschreckend, sich vorzustellen, von wie vielen Opfern nicht berichtet wird: Wie viele Haustiere zurückgelassen werden und verhungern, den Bomben zum Opfer fallen oder hungerleidenden Menschen in belagerten Städten, die sich nicht anders zu helfen wissen. Wie viele frei lebende Tiere Leben oder Lebensraum verlieren – und das ja nicht nur im Krieg selbst, sondern schon bei militärischen Übungen bis hin zum Atomwaffentest. Vor wenigen Tagen gab es in Tschernobajew 4 Millionen Kriegsopfer auf einen Schlag. Russische Streitkräfte hatten die Stromzufuhr einer Hühnerfabrik abgeschnitten. Die Tiere sind erstickt. Wir müssen von den menschlichen Todesopfern erfahren. Aber es ist ernüchternd, dass, wenn die Medien von „Todesopfern“ sprechen, niemals auch nur der Gedanke aufkommt, nichtmenschliche Opfer mit zu erwähnen, selbst wenn sie nicht zählbar sind. Als würden sie nicht sterben. Als würde mit ihnen irgendetwas anderes geschehen. Töten wir schlicht zu viele von ihnen, als dass unser Mitgefühl noch funktionieren würde? Wie viele landen allein für das Osterfest auf unseren Tellern? Auch in unseren Wäldern und auf den Meeren toben Kriege gegen Wehrlose, die täglich so viele Opfer zählen wie Menschen die Erde bevölkern. Wenn wir aber davon sprechen, begegnen wir immer noch dem Vorurteil, wir wollten Menschen abwerten oder in ihren Rechten beschneiden, weil wir ihren Anspruch auf Bratwurst infrage stellen. Dabei haben wir darauf hingewiesen, dass die Tierproduktion ein Hauptfaktor von Klimakrise und Artensterben ist, bevor Fridays for Future sich gründete. Wir haben Welthungerdemos veranstaltet, die anprangerten, dass zum Teil 16 kg Getreide für die Erzeugung von 1 kg Fleisch verschwendet werden, 13 Jahre bevor Entwicklungshilfeministerin Schulze jetzt wegen der ausbleibenden Getreideernte der Ukraine appellierte, Fleischkonsum zu reduzieren, um den immer schlimmer werdenden Welthunger zu bekämpfen. Und nein, uns hat es auch nicht überrascht, dass es ausgerechnet Schlachtgigant Tönnies war, der wieder einmal Negativschlagzeilen machte, weil er an der polnisch-ukrainischen Grenze Geflüchteten quasi das Angebot machte: Arbeitet in unseren Schlachtfabriken, dann holen wir euch vom Schlachtfeld. Schon, Tolstoi, Autor von „Krieg und Frieden“, soll gesagt haben: „Solange es Schlachthäuser gibt, wird es Schlachtfelder geben“.
Der Gedanke dahinter ist einfach: Legitimieren wir einmal Gewalt allein damit, dass wir etwas besitzen wollen, wird man es sich auch an anderer Stelle so einfach machen. Wenn es für Anspruch auf einen kurzen Moment des Gaumenkitzels legitim erscheint, einem Leben die Freiheit, die körperliche Unversehrtheit, die Sonne und die Luft und letztlich das Leben zu nehmen, was müsste dann erst legitim erscheinen für den Anspruch auf ein Land? Manche werden noch bei all diesen Ausführungen einwerfen: Aber es sind doch noch Tiere. Es sind doch keine Menschen. Ich sage, genau da liegt der Fehler. Als die Gräueltaten im ukrainischen Butscha ans Licht kamen, war von den „Butchern von Butscha“ die Rede. Das Englische unterscheidet nicht zwischen „Schlächter“ und „Schlachter“. Vitali Klitschko äußerte, die russischen Soldaten hätten „eine Safari auf Zivilisten“ gemacht. Begegnen uns solche Metaphern zufällig – oder weil sie als omnipräsentes Modell dienen, wie man mit Leben umgehen kann, dem man geringeren Wert beimisst? Entwertet ist Leben schnell, ob auf russischer Seite mit Entnazifizierungsrhetorik oder auf ukrainischer im Angesicht der Gräueltaten. Schnell heißt es über die Feinde, sie seien „keine Menschen“. Wenn sie keine Menschen sind, liegt die Assoziation nahe: sie gelten als Tiere. Über Tiere haben wir gelernt, dass sie weniger wert sind. Über Tiere haben wir gelernt, wie mit ihnen umzugehen ist, wenn sie sich nicht „benehmen“. Über Tiere haben wir gelernt, dass es in Ordnung ist, sie zu töten.
Ich will mich hier nicht hinstellen und so tun als würde es den Ukrainekrieg oder irgendeinen anderen Krieg auf der Welt beenden, wenn wir uns nur in tierethischen Fragen weiterentwickelten und auf eine biovegane Lebensmittelproduktion hinsteuerten. Selbst wenn wir umfangreiche Tierrechte etabliert hätten, zeigt uns die Wirklichkeit des Umgangs mit Menschenrechten doch wie allzu leicht grundlegende Rechte mit Füßen getreten werden. Die Wahrheit ist aber auch: Ich habe keine Lösung, um morgen alle Kriege zu beenden. Und ich vermute, das geht uns allen so. Wir können uns von dieser Einsicht ohnmächtig erdrücken lassen. Oder wir befassen uns mit Prävention. Wenn wir tatsächlich von unserer eigenen Spezies erwarten wollten, sich dahingehend weiterzuentwickeln, dass Kriege eines Tages nicht mehr als Option erscheinen, dann müssten wir grundlegend Dinge verändern. Maria Montessori sagte: „Alle reden vom Frieden, aber niemand erzieht zum Frieden“. Sie problematisierte damit den Wettbewerb, der die Sozialisation und das Leben der Menschen durchzieht und forderte Zusammenhalt und Solidarität. Ich denke, je weniger Grenzen unsere Solidarität kennt, desto mehr Chance auf echten Frieden werden wir erleben. Manche Menschen fragen: Haben wir gerade keine anderen Probleme? Ich sage: Wir stehen mitten im schlimmsten Artensterben aller Zeiten. Die Erderwärmung hat in Deutschland bereits 1,5 Grad überschritten. Wir haben ein maximales System der Gewalt gegen sogenannte Nutztiere errichtet.
Demokratische Systeme weltweit sind auf dem Rückzug. Die Arktis schmilzt, der Permafrost taut. Welthunger, Dürren und Wasserknappheit verschärfen sich. Die Frage ist die richtige, aber stellt sie den richtigen Adressaten. Fragt Putin. Fragt Scholz mit seinem 100-Milliarden-Aufrüstungspaket. Fragt alle Kriegstreiber: Haben wir gerade keine anderen Probleme?!
Ich möchte diese Rede genauso beenden, wie ich letztes Jahr meine Rede bei der Demonstration für die Schließung aller Schlachthäuser beendet habe – die übrigens auch dieses Jahr im Juni wieder stattfindet und zu der ich herzlich einlade.
Es gibt keinen Frieden, wenn es kein Frieden für alle ist. Es gibt keine Gerechtigkeit, wenn es keine Gerechtigkeit für alle ist. Es gibt vielleicht keine Zukunft, wenn es keine Zukunft für alle ist.